Freitag, 14. Oktober 2016

Rainer Maria Rilke: Ode an Bellman - 1915



Rilke in Moskau von Leonid Pasternak (1928)

Die Ode entstand 1915 nach einem Konzertabend mit der Dänin Inga Junghanns, wo Rilke die Bellman-Lieder kennenlernte. Inga Junghanns übersetzte später seinen „Malte“-Roman ins Dänische.

Ob sie die Lieder auf Deutsch vortrug, kann man nur vermuten. Ich habe bisher keinen Hinweis darauf finden können, aber es gab zu dieser Zeit bereits eine reiche Auswahl an deutschen Übertragungen: von Adolf von Winterfeld, Johann Peter Willatzen, Felix Niedner und Hanns von Gumppenberg (der auch in München lebte). Ich vermute auch, dass Rilke kein Schwedisch konnte, und die Lieder auf ihn nur in seiner Muttersprache solch einen Eindruck gemacht haben konnten.


Mir töne, Bellman, töne. Wann hat so
Schwere des Sommers eine Hand gewogen?
Wie eine Säule ihren Bogen
trägst du die Freude, die doch irgendwo
auch aufruht, wenn sie unser sein soll; denn,
Bellman, wir sind ja nicht die Schwebenden.
Was wir auch werden, hat Gewicht:
Glück, Überfülle und Verzicht
sind schwer.


Her mit dem Leben, Bellman, reiß herein,
die uns umhäufen, unsre Zubehöre:
Kürbis, Fasanen und das wilde Schwein,
und mach, du königlichster der Traktöre,
dass ich das Feld, das Laub, die Sterne höre
und dann: mit einem Wink, beschwöre,
dass er sich tiefer uns ergiebt, den Wein!


Ach Bellman, Bellman, und die Nachbarin:
ich glaube, sie auch kennt, was ich empfinde,
sie schaut so laut und duftet so gelinde;
schon fühlt sie her, schon fühl ich hin - ,
und kommt die Nacht, in der ich an ihr schwinde:
Bellman, ich bin!


Da schau, dort hustet einer, doch was tuts,
ist nicht der Husten beinah schön, im Schwunge?
Was kümmert uns die Lunge?
Das Leben ist ein Ding des Übermuts.


Und wenn er stürbe. Sterben ist so echt.
Hat er dem Leben lang am Hals gehangen,
da nimmt ihn erst das Leben ans Geschlecht
und schläft mit ihm. So viele sind vergangen
und haben Recht!


Zwar ist uns nur Vergehn,
doch im Vergehn ist Abschied uns geboten.
Abschiede feiern: Bellman, stell die Noten
wie Sterne, die im Großen Bären stehn.
Wir kommen voller Fülle zu den Toten:
Was haben wir gesehn!



Freitag, 7. Oktober 2016

Ernst Moritz Arndt über Bellman - 1810

Arndt wurde 1769 auf Rügen geboren, das damals zu Schweden gehörte. Er war Schriftsteller, Historiker und auch Abgeordneter der Frankfurter Nationalversammlung. An der neu gegründeten Universität in Bonn wurde er Professor für Geschichte, später Rektor und starb dort 1860.

Außer Österreich, Oberitalien, Frankreich, Belgien und Norddeutschland bereiste er auch Schweden und war ein guter Kenner des Landes. 1806 erschien seine Reisebeschreibung Reise durch Schweden im Jahre 1804“.

Standbild von Ernst Moritz Arndt in Bonn
Er war vermutlich der erste, der in Deutschland etwas über Bellman geschrieben hat.
Auszug aus seiner „Einleitung zu historischen Karakterschilderungen“ von 1810, in der er Bellman ausführlich würdigt:

Bellman ist einer der außerordentlichsten Menschen, die je gelebt haben, man mag ihn unter dem allgemeinen Karakter als Mensch, oder unter dem nationalen Karakter als Schwede ansehen. Er lebte in der lustigsten Zeit des genialischen Gustavs des Dritten, wo jedes Talent der Nation sich rührte und entwickelte.
Dieser Glückliche ist eine im Norden seltene Erscheinung, die seit dem Untergange der alten Skalden nicht mehr gesehen worden ist. Er war ein ächter Improvisatore, oder, richtiger gesagt, ein ächter Begeisterter: keine Gelehrsamkeit, keine Vorbereitung, keine Eitelkeit zu glänzen, keine Absicht etwas zu machen, wodurch unsere heutigen Macher oder Poeten oft so unpoetisch und geschroben sind.

Er lebte genügsam und lustig von einem kleinen Dienst, den ihm die Gnade seines Königs und Beschützers ausgeworfen hatte, spielte seine Laute oder Harfe, war gern bei Wein und fröhlichen Gelagen, wo er von der bacchischen Lust sich oft forttragen ließ, ohne doch das zu sein, was man einen Wüstling zu nennen pflegt. Bei diesen Gelagen unter Freunden, und bei dem vollen Becher, wenn Bacchus Lust ihn überwältigt hatte, kam endlich die heilige apollische Wuth über ihn, und fast alle seine Lieder und Scherze wurden so im Taumel gebohren. Das Sonderbarste ist, daß dieser außerordentliche Mensch bei der Gabe der fröhlichen Kunst auch einer der größten Mimen war. Seine Freunde wissen davon wunderbare Geschichten zu erzählen. Wenn der Wein ihm den heiligen Athem gegeben hatte, suchte er sich erst den Takt zu seinen Gesängen, ahmte diesen und den Klang der verschiedenen Instrumente mit dem Munde und mit den Fingern nach, und sang dazu, was die begeisterte Muse ihm eingab. So improvisierte er halbe Nächte vor seinen Freunden, so vor seinem Könige, bis er endlich gleich einem pythischen oder sibyllischen Orakel erschöpft hinsank. Sein Karakter war treu, fromm, fröhlich, liebenswürdig. 

Das Meiste, vielleicht das Köstlichste seiner unmittelbaren Eingebungen und Ausgießungen der Muse ist verloren; es vertönte mit der Lust und mit der Freude, worin es gebohren war. Er selbst sammelte und bewahrte nichts, doch lief dieses und jenes, theils im Gedächtnisse behalten, theils abgeschrieben und von Hand zu Hand überliefert, unter seinen Freunden rund, und ist in zwei Bändchen herausgegeben. Fast jedes Stück ist mit Musik begleitet, die er theils selbst aus dem Stegereife komponirte, theils aus alten Liedern und Arbeiten anderer Komponisten unterlegte: auch da weht in dem Dichter ein tiefer und ursprünglicher Geist. Außer diesen Liedern und Scherzen aus dem Stegereif hat man von Bellman noch einige ordentlich und absichtlich gemachte Sachen, z.B. geistliche Lieder; aber alle diese tragen den Stämpel an der Stirn, daß sie nicht in so frischem und jugendlichen Geist gezeugt sind, als jene.

Bellman, der mit unsern Dichtern, auch den ersten, wie sie gewöhnlich sind, nichts gemein hat, der mit seiner Kunst nichts sagen noch bedeuten, der mit ihr sich nur ergötzen wollte, war ein eigentlicher Volkssänger. Trotz einem Rembrandt und Teniers mahlte er naiv und treu, was er sah, empfand, und erlebte. Bacchus und Venus, die Freuden der Gelage und die Wanderungen der Menge, das wimmelnde Leben und die wimmelnde Natur, mit den Possen und Karrikaturen gemischt, welche die Wirklichkeit nur zu reich zeigt, waren die Gegenstände seiner Schilderungen. Wie die Satyrn- und Faunen, die Dionysen und Silenen, die Cytheren und Phrynen hier im Norden erscheinen mit ihren Spielen und Trieben, wie die Natur und der Mensch hier ihre wechselnden Bilder und Gestalten zeigen, so hat er sie auftreten lassen."